Schweiz – Griechenland / Eλβετία – Ελλάδα

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Ekkehard Wolfgang Bornträger

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Nach dem Fall von Konstantinopel im Jahr 1453 gelangte bis auf einige genovesisch-venezian. Restgebiete fast das ganze heutige G. unter osman. Herrschaft. Der nach einem langen Gärungsprozess 1821 ausbrechende Nationalaufstand führte 1830 nach wechselvollen Kämpfen zur Begründung neugriech. Staatlichkeit. Einen wesentl. Anteil daran hatte die ideelle wie materielle Unterstützung aus dem Ausland, nicht zuletzt auch aus der Schweiz, im Zeichen des philhellenismus. Auch in der neu konstituierten griech. Monarchie übten mit den Genfern Jean-Gabriel Eynard (u.a. als Mitbegründer der Griech. Nationalbank 1842) und Louis-André Gosse (Bekämpfung der Pestepidemie 1827 und Generalkommissar der Flotte) zwei Schweizer zeitweise wichtige Funktionen aus.

Da der neue Staat weit davon entfernt war, eine Heimstatt für alle Griechen zu bieten, wurde der Irredentismus, die Vereinigung aller (einst) griech. Territorien in einem Staat, als sog. Grosse Idee zum aussenpolit. Fernziel, das in den Balkankriegen 1912-13 schliesslich teilweise erreicht wurde. Im 1. Weltkrieg war das Land politisch gespalten zwischen den Anhängern des Reformers Eleutherios Venizelos, der für den Kriegseintritt auf Seiten der Entente eintrat, und den die Neutralität befürwortenden Royalisten. Die Schweiz wurde zu einem Zentrum der Agitation beider Lager, v.a. aber der Royalisten, die unter den griech. Studentenorganisationen zahlreiche Anhänger hatten. In versch. Broschüren und Eingaben (z.B. an das “Journal de Genève”, dem sie eine Entente-freundl. Haltung vorhielten) propagierten sie ihren Standpunkt. Noch einmal stand die Schweiz im Mittelpunkt des aussenpolit. Geschehens um G., als 1923 in Lausanne der Friedensvertrag zwischen G. und der Türkei Kemal Atatürks ausgehandelt wurde, der die Konsequenzen aus der militär. Niederlage der Griechen in Kleinasien besiegelte. Erstmals sah ein völkerrechtlich sanktionierter Vertrag den Austausch grosser Bevölkerungsteile vor.

Im 2. Weltkrieg nahm die Schweiz zahlreiche Schutzmachtmandate in und für G. wahr, das nach dem ital.-dt. Angriff von 1940-41 bis 1944 unter fremder Besatzung stand. So vertrat sie G.s Interessen in Italien und de facto in Bulgarien, Rumänien und Ungarn. Im Rahmen des IKRK leisteten Schweizer Fürsorge für die Zivilbevölkerung und versuchten, das Los der polit. Gefangenen und Zivilinternierten zu lindern. Dabei kam der im Auftrag des IKRK wirkenden medizin. Hilfsmission des Schweiz. Roten Kreuzes (SKR) unter der Leitung von Frédéric de Fischer eine wichtige Rolle bei der Verteilung von Medikamenten und Säuglingsnahrung zu. Die Mission dauerte vom Juli 1942 bis Juli/Okt. 1945 und beschäftigte insgesamt 23 Schweizer und bis zu 1’700 Einheimische. Auch in dem im Dez. 1944 ausbrechenden Bürgerkrieg zwischen den Kommunisten und den Anhängern der aus dem Exil zurückgekehrten griech. Regierung waren das IKRK und SRK humanitär tätig, v.a. mit Hilfsaktionen zugunsten von Kindern und durch den Besuch von Gefangenen- und Interniertenlagern (z.B. 1948 auf Makronissos und Chios).

Auf den Bürgerkrieg folgte in G. ab 1949 eine restaurative Periode. Als Reaktion auf die in den 1960er Jahren einsetzende Liberalisierung putschten 1967 konservative Militärs und errichteten ein autoritäres Regime. Im westeurop. Exil entstand eine starke Oppositionsbewegung, so auch in der Schweiz, wo sich 1967 in Bern das Schweiz. Komitee für die Wiederherstellung der Demokratie in G. formierte. Die Rückkehr zur Demokratie nach dem Zusammenbruch des Obristenregimes 1974 verlief ohne grössere Probleme. Mit dem Beitritt zur Europ. Gemeinschaft 1981 gewann die Integration G.s in Westeuropa eine neue Qualität.

Seit 1865 ist die Schweiz in G. diplomatisch vertreten, bis 1925 durch ein Konsulat, danach durch eine Gesandtschaft. Seit 1917 besteht in Bern eine griech. Gesandtschaft, ausserdem existieren griech. Generalkonsulate in Genf (bereits 1867-1924) und Zürich sowie ein Konsulat in Lugano. Während die kleine Schweizerkolonie in G. in den letzten Jahren wuchs (1983 1’078 Personen, 2001 2’869, davon 2’025 Doppelbürger), ging die Zahl der Griechen in der Schweiz zurück (1985 8’931 Personen, 2001 6’004).

Die Handelsbilanz mit G. ist traditionell durch einen grossen Schweizer Überschuss gekennzeichnet: Den 1980 für 66,3 Mio. Fr. bzw. 2001 für 153 Mio. Fr. getätigten Einfuhren aus G. (v.a. Textilien und Landwirtschaftsprodukte) standen Ausfuhren nach G. (v.a. pharmazeut. Produkte und Maschinen) im Wert von 300,4 Mio. Fr. bzw. 910 Mio. Fr. gegenüber. Wegen des schrumpfenden Exportvolumens in die ehemaligen Staaten des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RWG) ist G. somit der wichtigste Schweizer Exportmarkt in Ost- und Südosteuropa, noch vor der Russ. Föderation. Der Tourismus nach G. stieg auf hohem Niveau weiter an (1989 305’000 Grenzübertritte, 2001 322’000).

Einen besonderen Stellenwert geniessen die wissenschaftlich-kulturellen Beziehungen. Bereits 1925-26 war in der Deutschschweiz unter dem Namen Hellas eine Schweiz. Vereinigung der Freunde G.s entstanden, doch blieb ihre Wirkung eher bescheiden. Zu einem wichtigen Vermittler wurde hingegen ab den 1960er Jahren der in Zürich wirkende Pavlos Tzermias. Dem breiteren Publikum v.a. durch seine journalist. Tätigkeit als langjähriger Griechenlandkorrespondent der NZZ bekannt, hatte er auch neogräzist. Lehraufträge an den Univ. Freiburg (1965-95) und Zürich (1984-92) inne. Mit seinen zahlreichen Buchpublikationen zur Geschichte und Kulturgeschichte G.s und Zyperns prägte er das Griechenlandbild nicht nur in der Schweiz, sondern im gesamten deutschsprachigen Raum entscheidend mit. Allerdings blieb die Beschäftigung mit G. in der Deutschschweiz ein Privileg von Einzelpersonen, während in der Westschweiz die institutionelle Basis traditionell breiter war. In den 1950er Jahren leistete André Bonnard mit seinem dreibändigen Werk “Civilisation grecque”, das den Kern seines Unterrichts an der Univ. Lausanne für ein weiteres Publikum zusammenfasste, einen wichtigen Beitrag zur Vermittlung der antiken griech. Kultur.

Die grösste Breitenwirkung bei der Pflege des kulturellen Austausches erreichte die 1919 in Genf gegr. Association gréco-suisse Jean-Gabriel Eynard. Diese sieht sich als Nachfolgerin der philhellen. Tradition im Zeichen eines auch für Neugriechenland offenen humanist. Bildungsideals. Neben der Durchführung diverser Kulturveranstaltungen und Förderprojekte bleibt der Bildungstourismus einer ihrer Schwerpunkte. Aber auch bei der Vermittlung wirtschaftl. Kontakte, v.a. aber im humanitären Bereich entfaltete sie eine rege Tätigkeit, so unter ihrem damaligen Präs. Victor Martin während der Besetzung Griechenlands im 2. Weltkrieg oder bei der Hilfe für den Wiederaufbau der 1953 durch ein Erdbeben weitgehend zerstörten Insel Ithaka.

An den Deutschschweizer Universitäten war das Neugriechisch nie richtig verankert. Erst in den 1960er Jahren wurden Lehraufträge eingerichtet: Ab 1960 unterrichtete z.B. Panos Lampsidis in Zürich. Gegenwärtig bestehen an den Univ. Freiburg (Departement für Englisch und Slavistik) und Zürich (Archäolog. Seminar) entsprechende Angebote. Genf kann in dieser Hinsicht auf eine viel weiter zurückreichende Tradition zurückblicken. Schon 1826 hielt der phanariot. Gelehrte und Diplomat Jacovaky Rizo Neroulos eine Vorlesung über neugriech. Literatur. Dank einer Spende des in Genf verheirateten Auslandsgriechen Christos Lambrakis wurde 1931 ein Lehrauftrag an der Univ. Genf geschaffen, der bis 1957 vom Ethnomusikologen Samuel Baud-Bovy versehen wurde. Ihm folgte 1957-95 (ab 1979 als o. Prof. der neu geschaffenen Unité de Grec moderne) der Genfer Neogräzist Bertrand Bouvier und 1995 Michel Lassithiotakis. Die Dozentin Anastasia Danaé Lazaridis betreut im Verlag Melchior eine Reihe mit Übersetzungen neugriech. Literatur. Sie präsidiert auch die 1995 in Genf gegründete Schweiz. Gesellschaft für neugriech. Studien, welche seit 2000 die Zeitschrift “Psifides” herausgibt.

Neben Neugriechenland bleibt das klass. G. Gegenstand des wissenschaftl. Interesses. Eine wichtige Etappe markierte hierbei die Gründung der Schweiz. Archäolog. Schule in Greichenland 1975. Das Zentrum der schweiz. Grabungstätigkeit liegt in Eretria auf Euböa, wo seit 1964 Archäologen aus der Schweiz arbeiten.
Literatur
– B. Bouvier, «Genève, foyer de philhellénisme et d’études grecques modernes», in Grèce 2, 1977
– R. Clogg, A Concise History of Greece, 21998
– P. Tzermias, Neugriech. Gesch., 31999
– J.S. Koliopoulos, T.M. Veremis, Greece – The Modern Sequel, 2002
Genève et la Grèce moderne, 2004